Förderung in der Ausbildung und Erfahrungen zum Berufseinstieg –
Vorstand Ulrich Müller im Gespräch
Der Übergang von der Schule in den Beruf ist ein Meilenstein in unserem Lebenslauf. Wie sehr die Erfahrungen der Ausbildung prägend sind und welche Unterstützung Auszubildenden in ihrer Entwicklung helfen kann, diskutieren wir im Interview mit Ulrich Müller, Vorstand der Joachim Herz Stiftung.
Ulrich Müller begann seine berufliche Laufbahn mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann und erinnert die Herausforderung, sich ohne gezielte Schulungen in Soft Skills im Tagesgeschäft behaupten zu müssen. Unsere Programme zur Förderung von Auszubildenden, Azubi Kolleg und Azubis USA & Canada, setzen genau dort an: in der Stärkung von Soft Skills.
Wenn Sie an Ihre Ausbildung zurückdenken, woran denken Sie?
Ich denke sehr gerne an meine Ausbildung im Anschluss an das Abitur zurück. Ich war in einer Regionalbank, einem kleinen Ausbildungsbetrieb, und war deswegen sofort im operativen Tagesgeschäft involviert. Anders als mir dies Mitschülerinnen und Mitschüler in der Berufsschule berichteten, die bei Großbanken waren, habe ich nach einer kurzen Einführung vom ersten Tag an angeleitet vom Kollegium Tagesgeschäft betrieben. Ich hatte unmittelbar Kundenkontakt, arbeitete mit den Kundinnen und Kunden die Bankgeschäfte ab und ich hatte meine eigene Kasse. Insofern war die Ausbildung gleich von Beginn an für mich mit relativ viel Verantwortung verbunden. Ich erfuhr aber auch Toleranz, Toleranz der Kolleginnen und Kollegen und auch der Vorgesetzten. Denn zu Beginn unterlaufen Auszubildenden auch mal Fehler. Aber als Azubi hatte man auch das Recht, Fehler zu machen. Das empfand ich als sehr angenehm.
Worin hätten Sie sich mehr Unterstützung gewünscht?
Was damals kaum eine Rolle gespielt hat, waren die Soft Skills. Es kam natürlich zu Wissenstransfer im Kreditgeschäft oder den Bankdienstleistungen, aber zum Kundenumgang, zum Auftreten gegenüber Kunden oder zu Rhetorik gab es keine Inhalte. Das fehlte. Dabei war genau dies ein großer Teil im Tagesablauf aller Bankkaufleute, der Dialog und der persönliche Kontakt mit den Kundinnen und Kunden.
Welche Erfahrungen haben Sie aus Ihrer Ausbildung mitgenommen, die Sie auch noch viele Jahre lang in Ihrer beruflichen Entwicklung begleitet haben?
Die Demut vor den Aufgaben, die mir gestellt wurden. Als Auszubildender war einem schnell klar, erst mal nichts zu wissen, ganz am Anfang zu stehen und noch sehr viel lernen zu müssen. Da war kein Stolz, dass man das Abi hatte oder einen Bachelor und so bereit sei, die Welt zu retten. Der Zahn wurde einem sofort gezogen. Man war der „Stift“, der wenig Ahnung hatte und dem beigebracht wurde, wie die Dinge funktionieren. Diese Erkenntnis, Vieles nicht zu wissen und auf Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte angewiesen zu sein, die einem dieses Wissen vermitteln müssen, um im Alltag bestehen zu können, das ist etwas, was hängen geblieben ist. Deswegen bin ich ein Befürworter, dass eigentlich jeder und jede nach der Schule eine Berufsausbildung machen sollte, um sich darauf aufbauend im Beruf weiterzuentwickeln.
Haben Sie noch Tipps für Auszubildende? Worauf sollten Azubis achten, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ein Studium oder eine Ausbildung zu beginnen?
Wenn junge Menschen sich die Frage stellen, was sie eigentlich in ihrem Leben machen wollen, sollten sie zuallererst darauf hören, was ihnen Spaß macht. Ist es ein Handwerk, das Arbeiten mit Holz oder Metall? Oder ist es der Kontakt mit Menschen? Es ist wichtig, da erstmal in sich hinein zu hören und zu schauen, was auch längerfristig für das eigene Leben vorstellbar ist. Eine Ausbildung hilft, sich zu orientieren. Sie dauert ca. drei Jahre und liefert schnell Erkenntnis darüber, ob diese Tätigkeit Spaß macht oder auch nicht. Ich glaube, eine Ausbildung wird in einer Biografie immer honoriert werden, auch wenn im Anschluss ein Studium folgt und die Ausbildung möglicherweise im Nachhinein fachfremd erscheint. Personalverantwortliche schauen nicht nur auf die fachliche Expertise, sondern auch auf eine menschliche, gereifte Expertise. Da ist eine Ausbildung immer hilfreich.
Eine Ausbildung ist eindeutig ein erster Schritt in der beruflichen Entwicklung. Aber welche Karriereperspektiven sehen Sie?
Nach einer Ausbildung ist nicht das Ende der Bildungsmöglichkeiten erreicht. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung besteht die Möglichkeit, einen Fachwirt zu machen, einen Meister, einen Techniker und so weiter. Auch ist es möglich, sich selbstständig zu machen und unternehmerisch tätig zu werden. Mein Fazit oder Tipp ist, sich nach der Schule nicht nur auf das Studium zu fokussieren, sondern auch eine Ausbildung in Betracht zu ziehen, um zu experimentieren, welche Leidenschaft beruflich entwickelt werden soll.
Worin begründet sich das Engagement der Joachim Herz Stiftung in der beruflichen Bildung?
Ich referenziere das auf den Stifter, der Auszubildender in einer Bank war, nicht studierte und seinen Weg als Unternehmer und Kaufmann gegangen ist. Ihm war daran gelegen, dass junge Menschen, die engagiert und leistungsstark sind, entsprechende Förderungen erhalten und unterstützt werden. Darüber hinaus besteht die Anknüpfung an den Austausch mit den USA. Joachim Herz war Transatlantiker, verbrachte viel Zeit in den USA, betätigte sich dort mit großer Freude unternehmerisch, schätzte Land und Leute. Wenn daher die Stiftung die Komponenten der dualen Berufsausbildung und der Beziehung zu den USA in den Programmen des Azubi Kollegs und des Stipendiums Azubis USA & Canada verwirklicht, ist dies nach meinem Dafürhalten sehr nah am Wunsch des Stifters.
Unsere Angebote in der beruflichen Bildung
Azubi Kolleg
Das Azubi Kolleg fördert Auszubildende in ihrer Persönlichkeitsentwicklung: Über anderthalb Jahre vertiefen die Stipendiat:innen ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen in Workshops, Seminaren und Trainings.
Azubis USA & Canada
Auslandsaufenthalte sind karrierefördernd und bereichernd – trotzdem gibt es nur wenige Angebote für Azubis. Deshalb ermöglichen wir Praktika und College-Besuche in den USA und Kanada.