Eine Brücke über das
„Valley of Death“

Das neu gegründete „MaTeNa innovate! Zentrum“ der Joachim Herz Stiftung und der Universität Bremen verbessert den Transfer von Forschung hin zur Anwendung in der Umwelttechnologie – und könnte als Vorbild für weitere Zentren dieser Art dienen. Ein Besuch.
Es sieht aus wie ein Fenster – nur kann man nicht durchsehen. Professor Sven Kerzenmacher zeigt auf eine etwa einen Meter lange und einen Meter breite große Glasscheibe, die von einem weißen Rahmen umgeben wird. Die Glasscheibe ist von innen unter anderem mit einem Netz aus Edelstahl bedeckt. „Auf dem Edelstahlnetz wird sich bald eine Art Eiweiß-Fabrik ansiedeln, die Tag und Nacht arbeitet“, sagt Kerzenmacher lächelnd. Besonders daran ist nicht nur die Art, wie hier Eiweiß entsteht. Es soll auch zur Lösung eines Problems beitragen, das sich in Zukunft immer weiter verschärfen wird.

Sven Kerzenmacher ist Leiter des Fachgebiets Umweltverfahrenstechnik an der Universität Bremen. Das fensterförmige Gebilde steht in einer kleinen Halle im Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien (UFT) und ist der Prototyp einer sogenannten mikrobiellen Elektrosynthesezelle: Auf der einen Seite der Glasscheibe arbeiten Millionen von Bakterien daran, Abwasser zu säubern, dabei produzieren sie Strom. Auf der anderen Seite soll eine andere Armee von Mikroorganismen lediglich mithilfe von Kohlendioxid und dem elektrischen Strom Eiweiße – auch Proteine genannt – produzieren. „Wir können gleich zwei Sachen auf einmal schaffen: Abwasser reinigen – und wertvolle Proteine herstellen. Und das komplett ohne Einsatz von Stärke und Zucker, also ohne klassische Nahrung, und ohne fossile Energien“, sagt Kerzenmacher. Noch ist lediglich die erste Armee auf dem Prototyp aktiv. Aber bald soll die andere Art von Mikroorganismen dazukommen, die sich vergrößern und vermehren und so als Eiweißquelle dienen. Schließlich werden eiweißreiche Einzeller an die Fische verfüttert und könnten so ein sich anbahnendes Problem lösen.
Eiweiße aus Einzellern als nachhaltiges Fischfutter
Zurück im Büro, legt Kerzenmacher einen Zettel mit einer Kurve auf den Tisch, die von links nach rechts ansteigt. „Das ist die Zahl der Fische in Aquakulturen, das sind gewissermaßen Fischfarmen, die in großen Bassins inländisch und auch in abgeriegelten Bereichen auf den Meeren gezüchtet werden. Ihre Zahl steigt seit Jahren deutlich an – ganz einfach, weil immer mehr Menschen immer mehr Fisch essen“, sagt Kerzenmacher. Bisher erhalten die Fische in den Aquakulturen als Nahrung Fischmehl. Das ist eine Art Pulver, das aus den Resten vom Wildfang von Fischen besteht: „Knorpel, Flossen, alles, was nicht verkauft werden kann, wird in Form von Fischmehl verwertet. Das Problem ist nur: Das Fischpulver reicht langsam nicht mehr aus. Inzwischen fahren manche Boote raus und fangen Wildfisch nur wegen des Fischmehls. Das ist natürlich absurd“, sagt Kerzenmacher.
Hier kommen die Eiweiße ins Spiel, die Kerzenmachers Mikroorganismen produzieren: Sie könnten an die Fische in Aquakulturen verfüttert werden und so den Engpass lösen. „Ich schätze, man kann sicher 30 Prozent des Fischmehls durch unsere eiweißreichen Einzeller ersetzen, vielleicht auch deutlich mehr“, sagt Kerzenmacher. Das ist die Idee.

Natürlich hat Kerzenmacher schon mit der Industrie gesprochen. Die Antwort war sinngemäß: Sehr interessant – wenn Sie überzeugend zeigen können, dass es funktioniert, könnte es sein, dass wir uns engagieren und das Ganze groß aufziehen. Doch damit Kerzenmacher einen solchen „Proof of Concept“ liefern kann, fehlen ihm nicht nur bessere Einblicke, was genau die Industrie braucht. Ihm fehlt auch die Finanzierung für die Entwicklung einer Demonstrationsanlage, anhand derer gezeigt werden kann, ob und wie gut das Konzept in der Praxis funktioniert. Diese Finanzierung stellt die Industrie aber erst bereit, wenn das Proof of Concept vorliegt. Ein Paradox.
Eine Brücke über das „Tal des Todes“
In der Wissenschaft ist auch vom „Valley of Death“, vom Tal des Todes die Rede: Da hat jemand eine Idee mit Innovationspotential, aber um die Innovation zur Anwendung und zum Produkt zu bringen, fehlen das Geld für die risikoreiche Phase der Prototypenentwicklung und effiziente Strukturen zur Vernetzung mit der Industrie. Deshalb scheitert es am Transfer: Die Wissenschaft, die Grundlagenforschung in Deutschland schafft es häufig nicht in die Anwendung.
Es braucht eine Brücke, um das Tal des Todes zu überqueren. Und die wird bald nur ein paar Hundert Meter weiter liegen, wo die Büroräume des „MaTeNa innovate! Zentrums“ liegen werden. MaTeNa steht als Abkürzung für Materialien – Technologien – Nachhaltigkeit. Das im Dezember gemeinsam von der Joachim Herz Stiftung und der Uni Bremen gegründete Zentrum soll vor allem Forschenden aus dem „MAPEX Center for Materials and Processes“ den Weg von der Grundlagenforschung zur Anwendung möglich machen. MAPEX ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss mehrerer Institute an der Uni Bremen, die sich insbesondere mit Materialwissenschaften beschäftigen, er umfasst mehr als 1000 wissenschaftliche und technische Mitarbeitende auf dem Campus. Auch Sven Kerzenmacher gehört dazu.
Es gibt in der Materialforschung unglaublich viel Potenzial. Doch in der Vergangenheit haben wir es oft nicht geschafft, all diese Schätze zu heben.
Anne-Kathrin Guder, Leiterin des Referats UniTransfer an der Uni Bremen
„Es gibt in der Materialforschung unglaublich viel Potenzial“, sagt Anne-Kathrin Guder, Leiterin des Referats UniTransfer an der Uni Bremen. „Doch in der Vergangenheit haben wir es oft nicht geschafft, all diese Schätze zu heben. Genau hier setzt das ‚innovate! Zentrum‘ an: Es wird ein Ort sein, der die Lücke zwischen Forschung und industrieller Anwendung schließt.“ Das könnte nicht nur die Universität, sondern auch die Region Bremen und darüber hinaus zu einem Hotspot für Innovation und technologische Entwicklung machen.
Das Mindset unter Forschenden mehr in Richtung Anwendung verschieben

Aber wie genau will das „MaTeNa innovate! Zentrum“, in das die Joachim Herz Stiftung zum Start bis zu 30 Millionen Euro investiert, den Transfer verbessern? Einerseits geht es natürlich um Förderung. Das Zentrum fördert diejenigen Projekte, bei denen sich bereits zeigt, dass sie es wahrscheinlich in die Anwendung schaffen können – die aber zugleich noch so weit weg davon sind, dass die Industrie sich noch nicht engagiert. Genau dies gilt für die ersten drei Pilotprojekte, die hier gefördert werden. Die Protein-Fabrik von Kerzenmacher ist eines davon – weitere werden im Rahmen kompetitiver Ausschreibungen folgen. „Viele Förderungen reichen drei Jahre, das reicht selten, um größere Probleme auf dem Weg zur praktischen Anwendung zu lösen. Im ‚innovate! Zentrum‘ werden vielversprechende Transferprojekte für einen längeren Zeitraum finanziert. Damit haben wir eine Perspektive, unser Projekt wirklich reifen zu lassen, schwierige Fragen anzugehen und das Konzept in Richtung Anwendung weiterzuentwickeln“, sagt Kerzenmacher.
Die finanzielle Förderung ist aber nur ein Teil. Einen weitaus größeren Hebel dürfte die tägliche Arbeit des Zentrums in den nächsten Jahren haben. So soll zeitnah je eine Person für das Management der Innovationen und des Transfers eingestellt werden. „Materialwissenschaftler:innen in der Grundlagenforschung räumen einer Anwendbarkeit nicht immer einen hohen Stellenwert ein. Hier wollen wir unterstützen: Wir wollen dabei nicht nur spannende mögliche Anwendungen finden, sondern auch unter den Forschenden das Mindset mehr in Richtung der Anwendung verschieben und das unternehmerische Denken fördern“, sagt Professor Kurosch Rezwan.
Er ist Materialwissenschaftler und leitet das „MaTeNa innovate! Zentrum“ gemeinsam mit dem Volkswirt Dr. Jan Wedemeier. Das Führungsteam bildet damit selbst die Verzahnung von Forschung und Wirtschaft als Tandem ab.
Challenges aus der Industrie für die Forschung
Diese Verzahnung will das „innovate! Zentrum“ von beiden Seiten vorantreiben, mit einem besonderen Fokus auf Materialien, Technologien und Nachhaltigkeit – MaTeNa. „Wir werden auch aktiv auf die Industrie zugehen und dort fragen: Was sind eure Probleme? Gibt es materialwissenschaftliche Challenges, mit denen ihr gerade ringt? Und wenn dort etwas rauskommt, dann geben wir es an unsere Forschenden weiter“, sagt Rezwan. Er kann sich vorstellen, dass Steckbriefe à la „Most wanted!“ entstehen, mit der Challenge aus der Industrie und einer Belohnung von zum Beispiel 10.000 Euro oder mehr. Wer von den Forschenden Interesse hat, kann die Challenge annehmen. „Weil wir organisatorisch nicht Teil der Universität und privat finanziert sind, entfallen viele bürokratische und regulatorische Hürden. So sind wir für die Wirtschaft ein schneller und handlungsfähiger Ansprechpartner“, sagt Rezwan.
Er glaubt, dass solche Challenges nicht nur ihrer selbst wegen sinnvoll seien. „Das alles fördert die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Industrie. Wenn die Industrie mit einem Forschenden bei einer Challenge zusammengearbeitet hat und weiß, dass sie hier einen fähigen Sparring-Partner haben, dann werden auch eher mal mehrere Hunderttausend Euro für ein größeres Projekt investiert“, sagt Rezwan.