"Junge Wissenschaftler:innen brauchen mehr Spielraum, um auch außerhalb der Hochschule Ideen für eine Gründung zu erkunden."
Den Weg von der Forschung ins eigene Unternehmen beschreiten nach wie vor nur wenige junge Wissenschaftler:innen. Dabei befassen sie sich in ihrer Forschung oft mit hoch relevanten Fragen unserer Gesellschaft. Gründer Magnus Schückes fordert mehr Mut und Freiraum zum Ausprobieren von Ideen, ohne die wissenschaftliche Karriere aufgeben zu müssen.
Im Interview erläutert er, auf welche Herausforderungen gründungsinteressierte Forschende treffen. Als Wirtschaftswissenschaftler gründete er mit einem interdisziplinären Team ein Unternehmen für digitale Gesundheitsanwendungen in der Psychotherapie.
Was hat Sie zur Gründung motiviert, Herr Schückes? Was oder wer waren Treiber?
Bei der Gründung kamen verschiedene Aspekte zusammen. Ich war schon immer sehr gründungsaffin und habe bereits in der Schulzeit an Gründerwettbewerben und Co. teilgenommen. Es macht mir einfach Spaß, zu gestalten und Probleme zu lösen. In der Wissenschaft ist man zwar oft an der Speerspitze der Innovation und macht das Problemlösen zum Job, aber es fehlt meist der operative Hebel, den man als Unternehmer:in hat. Vielleicht bin ich auch etwas rastlos, was als Gründer:in nicht immer schlecht ist. Gleichzeitig greifen wir mit Elona Health ein Thema auf, das mich selbst betroffen hat. Insoweit habe ich auch eine hohe intrinsische Motivation, die Psychotherapie von morgen zu gestalten. Kombiniert mit meinen Erfahrungen aus der Promotion rund um Digitalisierung und Entrepreneurship waren das einfach ideale Bedingungen.
Elona Health: Psychotherapie von morgen digital gestalten
Das Unternehmen Elona Health entwickelt innovative digitale Lösungen für die Psychotherapie. Die digitalen Gesundheitsanwendungen richten sich an Patient:innen und Psychotherapeut:innen gleichermaßen. Behandelte nutzen sie im Laufe ihrer Therapie zum Beispiel, um Übungen in ihren Alltag einfließen zu lassen oder um in ihrer Zeitplanung unterstützt zu werden. Therapeut:innen können den Therapieerfolg digital mitverfolgen und die Behandlung steuern. Die Elona Health GmbH entsprang als universitätsnahe Gründung der Heinrich-Heine-Universität und wurde durch das EXIST-Gründerstipendium gefördert.
Wann und wie haben Sie und das Gründungsteam gemerkt, dass die Gründungsidee Potenzial hat?
Das ist eine schwierige Frage, die ich mal zurückhaltend und mal enthusiastisch beantworten würde. Als Gründer:in muss man an seine Idee glauben, und zwar mehr als jede andere Person. Schließlich gibt es auf dem Weg genug Leute, die einem unzählige Gründe nennen, warum das alles nicht so funktioniert wie gedacht. Gleichzeitig findet man genauso viele, die ebenso begeistert sind, teilweise alleinig von der Vision, die nur auf dem Papier existiert. Es ergibt sich allerdings ein Bias, weil man die positiven Rückmeldungen mehr hören will als die negativen. Aber Zweifel bleiben immer. Und das ist auch gut so, weil man sich und das Unternehmen stets hinterfragt und eben nicht stehen bleibt.
Was verschafft eine gute Ausgangssituation für eine Gründung?
Ich glaube, dass eine Promotion, egal in welchem Bereich, sehr gut auf eine Unternehmensgründung vorbereitet. Wie in der Wissenschaft beginnen die meisten als absolute Anfänger:innen mit großer Ehrfurcht und werden erst im Laufe der Zeit zu Spezialist:innen, weil sie sich durchgebissen und durch viele Irrungen und Wirrungen gekämpft haben. Ebenso ist es bei einer Unternehmensgründung. Selbst wenn man glaubt, die richtige Tür geöffnet zu haben, sind dahinter oft zehn neue.
Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Unternehmensgründung ist aber wahrscheinlich das Tempo und das Chaos. Besonders am Anfang hatte ich das Gefühl, jede Woche neue Themen vor der Nase zu haben. Vieles wird regelmäßig umgeworfen. Das führt sehr schnell in einen Trial-and-Error-Modus, weil nicht klar ist, was funktioniert und was nicht. Viele Dinge macht man wirklich zum ersten Mal. Insofern ist ein enormes Maß an Resilienz notwendig.
Wer sind wichtige Mentor:innen oder Personen für Feedback?
Eine wichtige Funktion, vor allem am Anfang, haben sicherlich die Gründungsnetzwerke an den Hochschulen. Die unterstützen zum Beispiel bei der Akquise von Fördermitteln. Ansonsten hilft natürlich der Austausch mit anderen Gründer:innen, insbesondere, wenn sie viel Erfahrung haben.
Würden Sie Ihr Gründungsvorhaben rückblickend als risikoreich einschätzen? Wenn ja, warum?
Ich glaube, eine Existenzgründung ist nie ohne Risiko, denn man steht vor unendlich vielen Fragezeichen in unendlich vielen Bereichen. Funktioniert mein Produkt? Wie erreiche ich meine Zielgruppe? Wie finde ich passende Mitstreiter:innen? Und wie schaffe ich eine Kultur, in der sich alle wohlfühlen? Woher bekomme ich Startkapital? Was macht meine Konkurrenz? Das Ganze ist ein großer Lerneffekt. Bei uns kam noch hinzu, dass wir als Medizinproduktehersteller auch klinische Studien durchführen müssen, um die Wirksamkeit und Sicherheit unserer Produkte nachzuweisen.
Die Risiken von Studien kennen vermutlich alle Wissenschaftler:innen, die schon einmal quantitativ gearbeitet und den gewünschten Effekt gesehen oder eben nicht gesehen haben. Aber das Gute ist: Durch all diese “Risiken” entwickelt man ein richtig dickes Fell und irgendwann gehört das einfach zum Alltag. Eines sei gesagt: Es gibt (fast) immer eine Lösung und am Ende wird alles gut.
Welches waren die größten Hürden, die Sie als Team auf dem Weg zur Gründung überwinden mussten?
Für uns waren die notwendigen Marktzulassungen – unsere digitalen Gesundheitsanwendungen sind verschreibungsfähig – natürlich eine enorme Herausforderung, da sie sowohl regulatorische Anforderungen als auch Anforderungen an die Evidenz beinhalten. Das ist schon ein hoher Berg, den es zu erklimmen gilt. Aber viele Herausforderungen kamen bereits vor der Gründung. Besonders die Zusammenstellung des Gründungsteams ist ein zentrales Thema. Alleine schafft man so eine Gründung selten. Dementsprechend muss man frühzeitig Mitgründer:innen finden, die idealerweise genauso motiviert und gerade in der richtigen Lebensphase zum Gründen sind. Denn nicht jede oder jeder kann beispielsweise zu jeder Zeit aus dem aktuellen Job aussteigen. Manchmal gehört auch Glück dazu.
Das Gründungsteam von Elona Health ist sehr interdisziplinär aufgestellt. Liegt in der Interdisziplinarität eine Chance für eine erfolgreiche Gründung?
Ich denke, ja. Ich habe bereits sehr interdisziplinär geforscht und konnte auch dank der Unterstützung des Add-on Fellowships for Interdisciplinary Economics and Interdisciplinary Business Administration das Thema Entrepreneurship mit Forschung aus den Bereichen Psychologie, Politik, Soziologie, Wirtschaftsinformatik und vielem mehr verknüpfen. Diese Interdisziplinarität kommt mir jetzt zugute. Schließlich befinden wir uns mit Elona Health ebenso an der Schnittstelle zwischen Entrepreneurship, Psychologie und digitalen Technologien.
Über Magnus Schückes
Magnus Schückes studierte Betriebswirtschaftslehre in Maastricht, Mailand und Kopenhagen und promovierte an der Universität Mannheim im Bereich Entrepreneurship. Er erforschte Corporate-Start-up-Partnerschaften, den Einfluss digitaler Technologien auf Geschäftsmodelle und Finanzierungsmöglichkeiten sowie hybride Organisationsformen. In seiner Forschung bezog er interdisziplinäre Ansätze aus Soziologie, Politikwissenschaft und Psychologie mit ein. Die Joachim Herz Stiftung förderte seine Promotion mit dem Add-on Fellowship for Interdisciplinary Economics and Interdisciplinary Business Administration. Aus eigener Erfahrung heraus gründete er 2021 zusammen mit seinen Mitgründer:innen Elona Health mit dem Ziel, die psychotherapeutische Versorgung zu verbessern. Darüber hinaus engagiert sich Schückes bei Transparency International sowie als Sprecher der E-Health-Gruppe des D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt e. V..
Was lief während der Gründung nicht so rund und was können Sie daraus als Learning an gründungsinteressierte Wissenschaftler:innen weitergeben?
Gerade für erstmalige Gründer:innen läuft alles schief, was man sich vorstellen kann. Insofern sollte man bei allem etwas Puffer einplanen, vor allem rund um die Finanzierung. Denn eines sollte nie passieren: dass einem das Geld ausgeht.
Sie haben sich während Ihrer Promotion sehr intensiv mit dem Themengebiet des Gründens befasst. Welche Barrieren bestehen aus Ihrer Sicht für das Gründen aus der Wissenschaft heraus? Welche Lücken müssten geschlossen werden?
Unternehmensgründungen aus der Wissenschaft haben ein großes Potenzial, weil sie auf fundierter Forschung und innovativen Ideen basieren. Ich glaube, dass manchmal unterschätzt wird, wie weit die Forschung in bestimmten Bereichen fortgeschritten ist. Zum Beispiel werden digitale Gesundheitsanwendungen schon seit über zehn Jahren erforscht, aber erst jetzt kommen sie so richtig in der Praxis an. Gleichzeitig gibt es hilfreiche Förderprogramme, die einen genau bei dem Schritt in die Selbstständigkeit begleiten. Insofern sind die Grundvoraussetzungen nicht schlecht, wenn auch noch ausbaufähig.
Wenn ich mir etwas wünschen würde, dann vor allem mehr Mut und Freiräume. Warum geben wir jungen Wissenschaftler:innen nicht mehr Spielraum, um Ideen außerhalb der Hochschule zu erkunden, z. B. durch hochklassige Inkubatoren, die vielleicht auch nur auf wenige Monate beschränkt sind? Das würde vielen Forschenden die Möglichkeit geben, sich auch mit betriebswirtschaftlichen Themen zu beschäftigen und sich ein Netzwerk außerhalb der eigenen Bubble zu schaffen. Eine Lösung könnte sein, Postdocs ähnlich zu einem Forschungssemester, das Professor:innen einlegen können, eine Art Gründungs-Sabbatical zu ermöglichen, das sie freistellt, um Gründungsideen zu verfolgen.
Parallel müsste aber sichergestellt sein, dass die wissenschaftliche Karriere dafür nicht direkt aufgegeben werden muss. Denn "publish or perish" ist ein Dilemma, in das Wissenschaftler:innen regelmäßig geraten, und sich für ihre Forschung erhebliche Nachteile einhandeln, wenn sie längere Zeit pausieren. Dabei sind und bleiben die meisten – mich eingeschlossen – vermutlich ein Leben lang Wissenschaftler:innen mit Herz und Blut.
Ein Spannungsfeld tut sich auf.
Genau! Ich habe den Eindruck, dass es oft ein Entweder-oder zwischen Forschung und Gründung ist. Es ist nicht so einfach, beides unter einen Hut zu bringen. Hinzu kommt, das Forschung mit kommerziellem Potenzial an der einen oder anderen Universität einen gewissen Beigeschmack hat und nur bedingt akzeptiert wird. Dabei zeigt eines unserer erfolgreichsten deutschen Start-ups, BioNTech, doch perfekt, wie sich exzellente Wissenschaft und wirtschaftlicher Erfolg zusammenbringen lassen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Schückes.
So fördert die Joachim Herz Stiftung junge Wissenschaftler:innen
Wir unterstützen junge Wissenschaftler:innen darin, innovativ und interdisziplinär zu forschen – an den Schnittstellen der Ingenieur-, Wirtschafts- und Naturwissenschaften – und den Transfer ihrer Forschungsvorhaben in die Praxis zu verfolgen. Mit Add-on Fellowships fördern wir Promovierende und Postdocs. Mit dem Joachim Herz Preis fördern wir gesellschaftlich relevante, interdisziplinäre Forschungs- oder Transferprojekte von Wissenschaftler:innen in einer frühen Karrierephase, in diesem Jahr aus dem Bereich Wirtschaftswissenschaften.