„Der wichtigste Faktor ist Zeit, nicht Geld.“

Damit es mehr Forschungsergebnisse in die Anwendung schaffen, muss die Gründungsförderung schneller werden, sagt Materialforscher und Gründer Prof. Stefan Hecht im Interview. Er spricht über die Bedeutung neuer Materialien und Ressourcen für eine nachhaltigere Welt, Hürden im Transfer aus der Materialforschung und seine Arbeit im 2023 neu eingerichteten wissenschaftlichen Beirat der Joachim Herz Stiftung.


Lieber Herr Professor Hecht, die Joachim Herz Stiftung setzt sich dafür ein, innovative Forschungsideen aus der Wissenschaft in die Anwendung zu bringen. Ein Fokus liegt dabei auf Neuen Materialien und Ressourcen der Zukunft.

Was sind Neue Materialien und wie helfen sie uns, mit Herausforderungen wie dem Klimawandel oder schonend mit Ressourcen umzugehen?

Lassen Sie uns erst einmal die Ausgangssituation betrachten und etwas herauszoomen: Unser Planet ist ein – so sagt der Naturwissenschaftler – geschlossenes System. Praktisch alle Stoffe, die sich auf unserem Planeten befinden, sind da, es kommt nichts dazu, es geht in der Regel nichts weg. Im idealen System, welches wir noch nicht haben, können wir alle Stoffe ineinander umwandeln – und dafür benötigen wir jede Menge Energie.

Dazu müssen wir versuchen, alle Kreisläufe zu schließen, sodass möglichst wenig heraussickert, weil es nicht wiederverarbeitet werden kann. Wir können es uns zum Beispiel nicht leisten, auf eine Batterie-Technologie zu setzen, die uns schnell fortbewegt, bei der aber kein Recycling der Batterien möglich ist. Ähnlich ist es mit jeder anderen Technologie. Chemisch sind wir aus meiner Sicht schon sehr weit, aber wir folgen weiter dem Dogma, fossile Energien zu verbrennen. Das ist eine große Herausforderung. Jetzt müssen wir diese Prozesse umstellen. Dafür sind Neue Materialien nötig.


Wie können Neue Materialien dabei helfen – hätten Sie ein Beispiel?

Viel Energie geht über Wärme verloren, etwa bei der Isolierung von Gebäuden. Die Nutzung anderer Materialien kann hier viel verändern. Ein Beispiel: Die chemische Industrie stellt seit Jahrzehnten Dämmmaterialien her, meist aus Polymeren, die aus Erdöl gewonnen wurden. Jetzt versucht man diese Materialien nachhaltiger aus nachwachsenden Ressourcen zu erzeugen.

Ein anderes Beispiel: Stein ist ein langlebiges Material. Aber das Problem ist, dass Zement enorm energieintensiv in der Herstellung ist. Für Gebäude kommen daher neuerdings Biomaterialien, wie beispielsweise Pilze, als verbindendes Material zum Einsatz. Auch Holz, also Lignin, wurde an vielen Stellen im Bauwesen neu entdeckt. In Laborgebäuden, in denen mit gefährlichen, hoch brennbaren Substanzen gearbeitet wird, ist Holz normalerweise ein absolutes No-Go. Moderne Laborgebäude basieren aber mittlerweile häufig schon auf Holz. Es ist gerade eine Art Renaissance klassischer nachwachsender Materialien zu beobachten.

Nachhaltig wachsende Materialien auf Pilzbasis könnten eine vielversprechende Alternative für das Bauwesen sein. (Forschungsprojekt an der TU Berlin unter Leitung von Prof. Vera Meyer, Bildquelle: Martin Weinhold)

Wie wichtig ist es, Ersatz für Ressourcen zu finden?

Ersatz ist ein Riesenthema. Man denkt heutzutage darüber nach, wie sich Materialien mit guten Eigenschaften, die aber nicht recycelt werden können oder die einen hohen Energie-Fußabdruck haben, ersetzen lassen.

Ein Beispiel: Um die Elektromobilität zu skalieren, benötigen wir Lithium-Ionen-Batterien. Während Lithium begrenzt ist, ist Natrium überall, etwa in unserem Kochsalz. Daher wird als Ersatz an Natrium-Ionen-Batterien geforscht, die in China bereits vermarktet werden. Sie besitzen vielleicht etwas weniger Leistung, sind dafür aber skalierbar und belasten die Umwelt nicht so stark. Das ist eine nachhaltigere Ersatztechnologie.



Über Stefan Hecht

Nach seinem Chemiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte Stefan Hecht an der University of California in Berkeley in den USA. Es folgten Stationen als Nachwuchsgruppenleiter, Gruppenleiter und Lehrstuhlinhaber an verschiedenen deutschen Institutionen. 2019 wurde er Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Interaktive Materialien (DWI) in Aachen und Inhaber des Lehrstuhls für Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen. Im Herbst 2022 kehrte er als Einstein-Professor und Gründungsdirektor des Center for the Science of Materials Berlin an die Humboldt-Universität zurück. Er ist Mitbegründer der xolo GmbH, die eine neuartige volumetrische 3D-Drucktechnologie entwickelt, die Xolographie, bei der Objekte mit Hilfe von Licht materialisiert werden.


Sie haben selbst ein Start-up gegründet. Aus Ihrer Erfahrung heraus: Welche Hindernisse gibt es für den Transfer aus der Materialforschung?

Bei den Gründungen hat sich in Deutschland viel getan. Die Rahmenbedingungen haben sich verbessert, sodass es deutlich einfacher ist, Ideen umzusetzen, also auszugründen. Wir liegen in Deutschland aber nach wie vor hinten im Bereich Deep Tech. Das sind besonders tiefgreifende technologische Innovationen, die eine längerfristige, kontinuierliche und finanzkräftige Finanzierung benötigen.

Besonders die Anfangsphase ist in diesem Bereich problematisch. Denn: Auch wenn eine Person aus den Naturwissenschaften eine gute Idee hat, darin Potenzial sieht, ermutigt wird und bereit ist, diese Idee einige Jahre lang weiterzuentwickeln, sind eine entsprechende Infrastruktur, Labore und Geräte notwendig. Das kann sich eine kleine Firma nicht leisten. Forscher:innen stehen von Anfang an vor einem Problem: Wie kommen sie an die Infrastruktur, um einen „Proof of Concept“ durchzuführen, die Idee bzw. das Produkt zu validieren und das Technology Readiness Level zu erreichen, welches für potenzielle Investoren notwendig ist?

Die öffentliche Finanzierung reicht dafür nicht aus?

Genau. Der deutsche Staat ist da dran, aber – und das ist auch der Grund für immer neue Förderinstrumente – er ist nicht schnell genug. In diesem Geschäft ist der wichtigste Faktor nicht Geld, sondern Zeit. Wir müssen schneller werden, zum Beispiel im Umgang mit Intellectual Property.

In diesem Geschäft ist der wichtigste Faktor nicht Geld, sondern Zeit. Wir müssen schneller werden, zum Beispiel im Umgang mit Intellectual Property.

Zwischen der Idee und dem Einstieg eines finanzstarken Investors besteht eine Lücke in der Finanzierung. Diese Lücke ist für die Joachim Herz Stiftung sehr interessant – denn als nichtstaatlicher Akteur, der flexibel agieren kann, gibt es hier viel Handlungsspielraum.


Die Stiftung setzt an dieser Stelle mit ihren „innovate!“-Förderlinien an. Dabei adressiert sie Hürden auf individueller und institutioneller Ebene und verschafft Wissenschaftler:innen und Hochschulen Freiräume, um Transferprojekte umzusetzen und zu fördern. Wie schätzen Sie diesen Ansatz ein?

Ich halte das für sehr wichtig. Einstellungs- und andere Prozesse sind unglaublich langsam und ineffizient. Das können wir uns nicht länger leisten. Bei unserer Ausgründung haben wir bewusst zu einem Zeitpunkt auf private Investitionen gesetzt – und nicht auf deutlich langsamere, staatliche Förderprogramme. Wir brauchen in unserem Land an der Stelle mehr privates Engagement.

Außerdem müssen wir darüber nachdenken, wie wir ausländische Talente anziehen können. Viele Ausgründungen in den USA stammen schließlich nicht von Amerikaner:innen.


Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Mindset von Wissenschaftler:innen? Muss sich da was ändern, damit es zu mehr Transfer aus der Wissenschaft kommt?

Ich glaube, dass sich hier viel verändert hat. Heutzutage ist es an den meisten Universitäten schwierig, international wettbewerbsfähige und somit kostenintensive Forschung zu betreiben, ohne Drittmittel einzuwerben. Um zu forschen, muss ich meine Ideen an die gängigen Forschungsförderorganisationen im Inland, wie die DFG, oder innerhalb der EU verkaufen. Daher ist ein dynamischer und innovativer Hochschullehrer schon geübt im Verkaufen. 


Was braucht es dann?

Ein Start-up treibt sehr fokussiert eine Idee voran, d. h. ein Material, eine Methode, einen Prozess oder im Idealfall eine Technologie, mit der sich ein Geschäftsmodell realisieren lässt. Viele junge Wissenschaftler:innen sind bereits deutlich besser darin, zu präsentieren und zu verkaufen. Beim Wissen bestehen dagegen noch Lücken: Wie funktioniert eine GmbH? Wie läuft eine Finanzierungsrunde ab? Was bekommt ein Investor im Gegenzug, wenn er Geld gibt?

Das versuchen viele zu ändern, hier setzen wir beispielsweise auch im Center for the Science of Materials Berlin an, indem junge Gründer:innen ihr Know-how weitergeben. Viel ist „Living by Example“, denn man braucht diese ermutigenden Beispiele, von denen es mittlerweile immer mehr gibt.


Müssen wir Erfolge also noch deutlicher herausstellen?

Wir reden in unserem Land viel darüber, wie man Gelder verteilt und Benachteiligten hilft. Das finde ich wichtig. Aber wir müssen auch thematisieren, dass der Euro erwirtschaftet werden muss, bevor er verteilt werden kann. Deutschland hat in fast allen Hochtechnologien seine Marktführung verloren, das ist am Rückgang von Patentanmeldungen sowie Produktinnovationen bei hier ansässigen Firmen zu sehen. Wir müssen schleunigst die Grundlagen legen, damit wir in den nächsten zehn, zwanzig Jahren, wieder neue Technologien „made in Germany“ entwickeln können. Damit der Wohlstand vor Ort erwirtschaftet wird, müssen wir Beispiele von globaler Leuchtkraft wie BioNTech ermöglichen.


Eine persönliche Frage: Was begeistert Sie an der Materialforschung?

Mich fasziniert, dass Materialien omnipräsent sind, dass sie eine sehr starke Wirkung auf Menschen haben, sei es in der Kunst, Architektur oder über Textilien. Spannend finde ich, wie wenig wir noch über den Zusammenhang zwischen den kleinsten Bausteinen – Atomen und Molekülen – und den Eigenschaften eines Materials wissen.

Wie begrenzt unser Wissen ist, sollten wir jungen Menschen schon in der Schule und später dann an der Universität vermitteln. 

Begeistern wir sie für das Unbekannte, kultivieren wir ihre Neugier und ermutigen wir sie unbekannte, ja abenteuerliche Wege zu gehen.


Also Materialforschung als Abenteuer?

Ja, als Abenteuer! Stellen Sie sich vor, die Leute kommen morgens ins Labor und stellen ein Material her, das es noch nie zuvor gegeben hat. Das braucht Pioniergeist und den müssen wir wieder wecken.


Sie sind seit 2023 im neu gegründeten wissenschaftlichen Beirat der Joachim Herz Stiftung. Wie sah Ihre Arbeit bisher aus? Wie bringen Sie sich in die Stiftungsarbeit ein?

Ich schätze die vielfältige Zusammensetzung des Beirats. Zum einen sind unsere unterschiedlichen Perspektiven Garant für eine konstruktive Zusammenarbeit und zum anderen genieße ich die intellektuelle Anregung in unserem Kreis. In die Arbeit der Stiftung möchte ich mich besonders mit meiner Perspektive als Gründer und Naturwissenschaftler einbringen. Darüber hinaus werde ich meine Erfahrungen aus Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten einfließen lassen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Hecht. 


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