Markt oder Staat in Krisen?
Auswirkungen der Pandemie auf ökonomische Denkmuster
Wie beeinflussen gesellschaftliche Disruptionen unsere Arbeitswelt und unser Zusammenleben? Wo versagen in Krisen Märkte und wo Staaten? Sollte die Wirtschaftspolitik angesichts von Herausforderungen wie dem Klimawandel mehr in Märkte intervenieren?
Mit diesen Fragen beschäftigen sich Ökonom:innen im Hinblick auf die Coronakrise. Sie untersuchen, wie sich die staatlichen Maßnahmen auf die Wirtschaft und Gesellschaft auswirken. Dabei nehmen die Wissenschaftler:innen kurz- und langfristige Folgen in den Blick. Die Forschungsergebnisse sind für die Debatte relevant, wie wir als Gesellschaft mit künftigen Krisen umgehen.
In unserer neuen Publikation „Markt oder Staat in Krisen?“ haben wir Antworten von Wirtschaftswissenschaftler:innen auf diese Fragen gesammelt. Zu den Auswirkungen der Coronakrise zählt, dass Mütter während der Pandemie deutlich öfter als Väter ihre Arbeitszeit reduzierten, um ihre Kinder zu betreuen. Wir stellen drei Wissenschaftlerinnen vor, die zu den gesellschaftlichen Folgen der Pandemie forschen. Außerdem beleuchten wir, welche Fragen zur Pandemie die ökonomische Forschung bislang nicht beantworten kann – und warum.
Die Krise der Mütter
"Mütter sind am Anschlag" und "Rolle rückwärts in die 50er". Für die Medien scheint ausgemacht, dass die Coronakrise besonders Frauen getroffen hat. Wir stellen drei Wissenschaftlerinnen vor, die zu dem Thema forschen.
Text: DAVID SELBACH
Miriam Beblo
"Die Coronakrise hat die Ungleichheit freigelegt", sagt Miriam Beblo. Die Professorin für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg forscht seit vielen Jahren zu den Themen Arbeit, Familie, Gender und Migration.
"Wir dürfen bei geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung nicht nur rein finanzielle Anreize im Blick haben. Es gibt auch andere Kosten, die man mit der Identitätsökonomie erklären kann."
Miriam Beblo
Denn selbst Frauen, die mehr verdienen als ihr Partner, übernehmen oft das Gros der Sorgearbeit. "Müttern wird diese Aufgabe einfach zugeschrieben. Sie sind etwa in Schule und Kita die erste Ansprechperson", sagt die Ökonomin. "Wenn man aber von der sozialen Norm abweicht, dann entstehen psychologische Kosten." Sprich: Aus Angst davor, die "Rabenmutter« zu sein, übernehmen selbst Frauen als Haupternährerin dann noch die Hauptlast der Sorgearbeit. Miriam Beblo wünscht sich, dass solche Ansätze stärker in den Fokus rücken.
Katharina Wrohlich
Katharina Wrohlich ist Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam und Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
"Im ersten Lockdown 2020 haben sowohl Frauen als auch Männer die Carearbeit zeitlich ausgeweitet. Die ohnehin schon ungleiche Aufteilung der Carearbeit hat sich dabei im ersten Lockdown noch etwas vergrößert. Im zweiten Pandemiejahr sind die Paare dann aber wieder weitgehend zu der Aufteilung zurückgekehrt, die sie vor Corona hatten", sagt Wrohlich.
Eine häufig vermutete Retraditionalisierung belegen die für die Studie verwendeten repräsentativen Daten aus einer Langzeitstudie daher nicht. "Andererseits findet sich auch kein Beleg dafür, dass das anfangs verstärkte Engagement der Männer von Dauer gewesen wäre." "Nicht einmal ein Schock wie die Pandemie ändert etwas an den verfestigten Rollenmustern", fasst die 44-Jährige nüchtern zusammen.
Nicole Fuchs-Schündeln
Nicola Fuchs-Schündeln, Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hat zu den Auswirkungen der Schulschließungen in der Pandemie geforscht. »Der Fokus lag viel zu stark auf den direkt und sofort anfallenden Kosten, dabei gibt es ökonomische Kosten, die erst viel später auftreten«, sagt die 50-jährige Ökonomin. Fuchs-Schündeln hat Daten aus den USA und Deutschland miteinander verglichen. In den Vereinigten Staaten fiel 55 Prozent des Präsenzunterrichts pandemiebedingt aus. In Deutschland waren es 45 Prozent. Das ist zwar etwas mehr Schulzeit in Präsenz, Deutschland ist damit im europäischen Vergleich aber Schlusslicht.
In einer Modellrechnung kommt sie auf zukünftige Einkommenseinbußen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen von 1,3 bis 1,7 Prozent – pro Jahr. "Und das summiert sich. Denn Bildungsverluste treffen das Humankapital einer Volkswirtschaft. Langfristig könnte das Bruttoinlandsprodukt zwei bis drei Prozent geringer ausfallen", sagt Fuchs-Schündeln.
Fragen, die die Wirtschaftswissenschaften (noch) nicht beantworten können
Die Ökonomik gewinnt Erkenntnisse, indem sie Theorien bildet und diese mithilfe von Empirie prüft, also Modelle entwickelt und Daten sammelt. Sie nutzt Daten, die die Realität beschreiben. Diese wandelt sich aber sehr schnell.
Selbst wenn Theorie und Empirie ein valides Bild für den Moment liefern, ist nicht gesagt, dass es lange gilt. Die Wirtschaftswissenschaften benötigen deshalb fortlaufend neue Daten, um Orientierung zu bieten. Sieben Beispiele zeigen, wo aktuell ihre Grenzen liegen.
Text: MIRJAM STEGHERR
Wann ist ein Lockdown angemessen?
Büros, Geschäfte, Schulen: Immer wieder wurde diskutiert, ob ein Lockdown im Kampf gegen Corona angemessen ist. Denn er brachte erhebliche ökonomische Kosten mit sich, sollte aber helfen, lebensgefährliche Ansteckungen zu vermeiden. Welche Kosten angemessen sind, um ein Menschenleben zu retten, kann die Wirtschaftswissenschaft nicht entscheiden, sondern nur die Politik. Ökonomik kann aber quantifizieren, welche Kosten durch politische Entscheidungen entstehen, und sie in Bezug setzen zu der Zahl geretteter Menschenleben und somit zur konsistenten Umsetzung normativer Entscheidungen beitragen.
Lohnt sich Homeoffice?
Um die Pandemie einzudämmen, schickten viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden – zum Teil staatlich verordnet – ins Homeoffice. Wer die Möglichkeit hatte, sollte zuhause arbeiten. Die Frage ist, ob es nach der Pandemie bleibt. Studien zeigen zwar, dass Arbeitnehmer:innen im Homeoffice sehr produktiv waren, aber die Datengrundlage beschreibt die Wirkungszusammenhänge nur lückenhaft: Zum einen basiert sie hauptsächlich auf Befragungen. Zum anderen war die Situation aufgrund der Pandemie einzigartig und nicht mit Homeoffice in „normalen“ Zeiten vergleichbar. Welchen Effekt das Homeoffice auf die Karriere hat, ist größtenteils offen, aussagekräftige Studien beschränken sich nämlich oft auf einzelne Arbeitgeber oder Branchen.
Wann kommt eine neue Wirtschaftskrise?
Erst Corona, dann Krieg in der Ukraine: Die Sorge vor einer Rezession nach einem Schock ist oft groß. Aber Ökonom:innen können nicht genau vorhersagen, ob und wann eine Wirtschaftskrise kommt. Was wie eine Schwäche wirkt, ist konsequent: Krisen sind gemäß Definition nicht vorhersagbar. Wirtschaftswissenschaftliche Analysen bauen auf bereits vergangenen Geschehnissen auf und nutzen die dazu verfügbaren Daten. Wie sich das auf morgen auswirkt, ist offen, weil neue, unvorhersehbare Faktoren hinzukommen können. Billige Kredite und eine Immobilienblase in den USA zum Beispiel waren Alarmzeichen vor der Finanzkrise. Aber auch die aktuell hohe Verschuldung einiger Eurostaaten könnte auf eine neue Krise hindeuten.
Wie entsteht eine gerechte Ökonomie? Wie sollte der Staat Wachstum fördern?
Markt oder Staat in Krisen?
Erfahren Sie in der Publikation, welche weiteren Themen die ökonomische Forschung zur Coronakrise bewegt – und wie die Disziplin die Krise und ihre Folgen bewertet. Unter anderem mit Beiträgen zu:
- Der starke Staat ist wieder da: Der Staat hat sich in der Coronakrise als wirtschaftspolitischer Akteur behauptet. Ausnahme oder neue Regel?
- Generation Lockdown: Weniger Humankapital, gestiegene soziale Ungleichheit. Die Schulschließungen hinterlassen tiefe Wunden.
- Produktiv am Küchentisch: Sind Homeoffice und New Work die Heilsbringer einer modernen Arbeitswelt? Forscher:innen sind sich nicht einig.