Warum es wichtig ist, etwas zu riskieren
Mit unserer Arbeit möchten wir zukünftig deutlich fokussierter daran mitwirken, Lösungen für dringende gesellschaftliche Fragestellungen zu schaffen, z. B. für den Klimaschutz, den effizienten und schonenden Einsatz von Ressourcen oder auch bei der Förderung von Fachkräften in einer sich durch KI und Digitalisierung wandelnden Berufswelt.
Die Joachim Herz Stiftung richtet sich neu aus. Wir sind in unserer Arbeit von unternehmerischen Werten geprägt, das heißt, wir wollen und können auf aktuelle gesellschaftliche Anforderungen schnell reagieren und wirksame Angebote schaffen. Deshalb konzentrieren wir uns zukünftig auf drei Themenfelder: „Neue Materialien und Ressourcen der Zukunft“, „Unternehmerisch denken und handeln“ sowie „Berufliche Bildung und digitale Transformation“.
Im Interview erläutern die Vorstände Sabine Kunst und Ulrich Müller, warum die Neuausrichtung der Stiftung notwendig ist und was wir erreichen wollen.
Die Joachim Herz Stiftung stellt sich neu auf, mit welchem Ziel?
Sabine Kunst: Die eigene Arbeit regelmäßig in Frage stellen, sich neu auszurichten – immer mit dem Anspruch Dinge zu verbessern – gehört zur DNA einer unternehmerisch ausgerichteten Stiftung, wie die Joachim Herz Stiftung es ist. Die Welt, unsere Probleme und damit die Halbwertszeit unserer Lösungsansätze ändern sich rasend schnell. Das bedeutet, dass wir unsere Arbeit stärker fokussieren werden und die Wirkung unserer Förderung immer wieder aufs Neue kritisch hinterfragen müssen. Wir möchten echten Impact erzeugen und gesellschaftliche Veränderungsprozesse gestalten – und daran wollen wir uns messen lassen.
Was heißt das konkret, welche Aufgaben ergeben sich daraus?
Ulrich Müller: Wir entwickeln derzeit drei neue Themencluster. Im Themenfeld „Neue Materialien und Ressourcen der Zukunft“ geht es darum, Forschungsergebnisse nutzbar zu machen – das heißt im besten Fall steht am Ende eines von uns geförderten Vorhabens zum Beispiel ein konkretes Produkt oder ein Patent. Neue Materialien und der schonende Einsatz von Ressourcen haben in diesem Zusammenhang eine besondere ökologische Relevanz und gleichzeitig großes ökonomisches Potenzial. Unser zweites Themencluster heißt „Unternehmerisch denken und handeln“. Wir möchten das unternehmerische Mindset von Wissenschaftler:innen stärken, sonst werden weiterhin viele gute Ideen in der Schublade liegen bleiben. Die Sensibilisierung für das Thema Unternehmertum sollte aus unserer Sicht schon in der Schule beginnen.
Sabine Kunst: Im Cluster „Berufliche Bildung und digitale Transformation“ stehen die Veränderungen der Arbeitswelt durch KI und Digitalisierung im Mittelpunkt, weil sich damit Anforderungen an Auszubildende verändern. Und natürlich auch an Berufsschulen und Betriebe, die ausbilden. Wie können wir junge Menschen für neue Berufsbilder fit machen und in ihren Karrieren unterstützen? Ausbildungsberufe haben ein enormes Potenzial, das sind die Fachkräfte von morgen – aber talentierte Auszubildende werden zu wenig gefördert. Das möchten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten ändern. Ergänzt werden diese drei Handlungsfelder durch unser etabliertes Querschnittsthema „Transatlantische Stiftungsaktivitäten“. Wir werden uns mit Partnern vor Ort zu denselben Themen vernetzen und das „Joachim Herz House“, die ehemalige Farm des Stifters in Atlanta, als modernen Veranstaltungsort für Begegnung und Vernetzung bewirtschaften.
In allen Themenclustern spielen Lösungsansätze für drängende gesellschaftliche Probleme wie den Klimawandel oder den effizienten Umgang mit Ressourcen eine Rolle. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, daran gezielt mitzuwirken. Einerseits ganz unmittelbar durch die Förderung anwendungsorientierter Forschungsvorhaben an den Schnittstellen von Natur- und Ingenieurwissenschaften und andererseits indirekter, indem wir beispielsweise Auszubildende dabei unterstützen, sich Kompetenzen anzueignen, die sie in einer sich ändernden Berufswelt benötigen.
Ulrich Müller: In Ergänzung dazu: Handlungsleitend für unsere Arbeit sind die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Sie haben Einfluss auf unsere inhaltliche Arbeit – so kommen Anträge, für die Ressourcenschonung keine Rolle spielt, beispielsweise nicht in die engere Wahl – wir prüfen aber auch, wie wir in der Kapitalanlage entsprechend agieren können.
Was können Stiftungen leisten und welche Lücke füllt die Joachim Herz Stiftung?
Sabine Kunst: Als private Stiftung haben wir den großen Vorteil, unabhängig und flexibel zu sein. Gleichzeitig sind wir gut vernetzt und können aus dem Zentrum des Geschehens heraus konkrete Lösungen entwickeln, die anderen als Vorbild dienen. Konkret heißt das zum Beispiel, dass wir mit unserem „innovate! Zentrum“ passgenaue Strukturen schaffen, um systemische Hürden im Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis zu überwinden. Da dieses Zentrum nicht an das öffentliche Haushalts- und Tarifrecht gebunden sein wird, hat die beteiligte Hochschule einen anderen Freiheitsgrad bei der Unterstützung von Transferaktivitäten. Gleichzeitig garantieren wir wissenschaftliche Freiheit und erwarten – anders als das bei einem Unternehmen der Fall wäre – keinen sofortigen wirtschaftlichen Erfolg. Wir unterstützen hier ganz bewusst Forschungsvorhaben, die enormes Potenzial haben, deren Erfolg aber ungewiss ist, und die in der üblichen Drittmittelakquise genau deshalb keine Chance hätten. Innovation braucht Mut und dafür sind wir bereit, Risiken einzugehen.
Ulrich Müller: Ich halte diese Risikobereitschaft sogar für unsere Aufgabe. Wir können und sollten es uns als Stiftung leisten, disruptive Ansätze zu fördern. Unser Anspruch ist es nicht, etablierte Ideen weiterzuentwickeln. Veränderung und Verbesserung erreichen wir nur, wenn wir uns etwas trauen.
Ein Blick in die Zukunft: Wofür möchte die Joachim Herz Stiftung in fünf Jahren stehen?
Sabine Kunst: Die Joachim Herz Stiftung soll für Transfer und Innovation stehen. Angesichts der uns umgebenden gesellschaftlichen Probleme sind wir dringend auf zukunftsweisende Ideen aus der Wissenschaft angewiesen. Dafür wollen wir das fördern, was nach der Grundlagenforschung und vor der Marktreife kommt – denn genau hier liegt aus unserer Sicht großes Potenzial für die Entstehung von Innovationen. Bisher bleibt das zu oft noch ungenutzt. Wir möchten den Blick aber auch nicht zu sehr verengen, erfolgreicher Transfer ist für uns nicht gleichbedeutend mit Ausgründungen aus der Wissenschaft, es kann genauso gut bedeuten, gesellschaftliche Fragestellungen in wissenschaftliche Vorhaben zu integrieren. Welchen Input kann die Wissenschaft beispielsweise für erfolgreiche und moderne Berufsbildung liefern? Um Transfer und Innovation zu ermöglichen, werden wir in allen unseren Themenclustern auf einen Mix aus Individual- und Projektförderung sowie Anreize auf systemischer Ebene setzen. So wollen wir Lösungen anbieten – sei es für den Klimaschutz, einen schonenden Umgang mit Ressourcen oder eine zukunftsfähige Berufsausbildung.
"Wir können und sollten es uns als Stiftung leisten, disruptive Ansätze zu fördern. Unser Anspruch ist es nicht, etablierte Ideen weiterzuentwickeln. Veränderung und Verbesserung erreichen wir nur, wenn wir uns etwas trauen."
Wie wird sich die Arbeit der Joachim Herz Stiftung durch die Neuausrichtung ändern?
Ulrich Müller: Unsere Neuaufstellung hat Auswirkungen auf unsere Programme, aber natürlich auch auf die Art, wie wir arbeiten. Einen Teil unserer Projekte und Förderungen werden wir verantwortungsbewusst und in Abstimmung mit unseren Partnern abschließen, einige möglicherweise auch an Dritte übergeben. Dieser Schritt ist notwendig, um Raum für Neues zu schaffen. Andere Projekte überführen wir, nachdem wir sie auf Herz und Nieren geprüft haben, in die neuen Themencluster. Vor allem aber werden wir Neues entwickeln. Dabei haben wir immer fest im Blick, ob wir auch Wirkung erzielen.
Sabine Kunst: Wirkungsorientierte Stiftungsarbeit bedeutet auch, dass wir die eigene Arbeitsweise hinterfragen und optimieren. Für uns heißt das einerseits, dass wir unsere Fachbereiche auflösen und zukünftig in Themenclustern arbeiten, die gemeinsam und in unterschiedlichen Konstellationen an Themen arbeiten. Und nur wenn diese Erfolge im Sinne von Impact zeigen, werden wir sie weiterführen. Ansonsten gilt „loslassen“ und ein sinnvolleres Thema identifizieren. Andererseits werden wir zukünftig vermehrt fördernd und weniger operativ unterwegs sein. Auf den Punkt gebracht: Wir wollen schneller und schlanker werden.
Wie wurde die neue Strategie entwickelt und wer war daran beteiligt?
Sabine Kunst: Oft ist der kritische und unvoreingenommene Blick von außen sehr hilfreich und der stand auch bei uns am Anfang. Wir haben unsere Arbeit von Fachexpertinnen und -experten unter die Lupe nehmen lassen, ein Beratungsunternehmen hat beispielsweise unsere Bildungsprojekte strategisch analysiert und bewertet, ebenso sind Ergebnisse aus der Studie „Learning from Partners“ eingeflossen. Davon ausgehend entwickeln wir mit vereinten Kräften unsere neue Ausrichtung und die Themencluster. Unser wissenschaftlicher Beirat gibt durch sein kritisches und hilfreiches Feedback viele wichtige Impulse, das Kuratorium begleitet den Prozess in seiner beratenden Funktion sehr konstruktiv und natürlich bringen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre guten Ideen ein.
Ulrich Müller: Die Joachim Herz Stiftung ist mit ihren 15 Jahren eine sehr junge Stiftung, das heißt wir gehen zum ersten Mal durch einen solchen großen Veränderungsprozess. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, zu der selbstverständlich auch Diskussionen und Reibungen gehören. Wichtig ist, dass wir alle sie mit Veränderungsbereitschaft und Experimentierfreude angehen.
Und was würde Joachim Herz denken?
Ulrich Müller: Was er denken würde, kann ich nicht sagen, aber unser Stifter Joachim Herz war im besten Sinne unkonventionell, er hat die Ärmel hochgekrempelt und Dinge angepackt. Unsere Aufgabe ist es, seinen Willen umzusetzen und dazu gehört die Interpretation in Bezug auf aktuelle Probleme und Herausforderungen. Wir gehen die Arbeit in unseren neuen Themenclustern unternehmerisch, risikobereit und leistungsorientiert an, also ganz in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis unseres Stifters. Wir glauben, das würde Joachim Herz gut gefallen.