Karrieretipps für junge Wissenschaftler:innen
Für eine Karriere in der Wissenschaft gibt es keinen allgemeingültigen Routenplan. Jobmöglichkeiten in anderen Sektoren sind hingegen für Forschende oft eine Black Box – obwohl die Auswahl hier deutlich vielfältiger ist. Eine eigene Karrierestrategie kann helfen, nächste Schritte selbstbestimmt zu planen.
Dr. Anne Scheiter, Expertin für Karrierewege aus der Wissenschaft, gibt konkrete Tipps zu Transferable Skills, Sichtbarkeit und Netzwerken.
Auf einen Blick
„Dass ich die Professur bekommen habe, war reines Glück.”
„Dass ich gerade diesen Job habe, war reiner Zufall.”
Das haben Sie auch schon gehört? Ist der eigene Karriereweg also vom Zufall abhängig? Benötigen Sie Glück, um die „richtige“ Karriere zu finden?
Sicherlich. Und gleichzeitig sind Sie kein Spielball des Schicksals, sondern können sich für den glücklichen Zufall in Stellung bringen. Louis Pasteur hat das noch schöner formuliert: „Der Zufall bevorzugt den vorbereiteten Geist“.
Dabei hilft eine gut durchdachte Karrierestrategie.
Eine Karrierestrategie hat nicht den Anspruch, genau zu wissen, wohin man möchte und dann stur einen Plan abzuarbeiten. Vielmehr gibt sie eine Struktur vor, die Ihnen dabei hilft, Möglichkeiten zu erkennen und proaktiv den eigenen Karriereweg zu gestalten.
Statistisch gesehen ist dabei die Wissenschaft der alternative Karriereweg: Nur etwa 15% aller Promovierten unter 45 Jahren in Deutschland arbeiten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, davon weniger als 1% als Professorin oder Professor (BuWiN 2021). Die Mehrheit der Wissenschaftler:innen sind in der Wirtschaft, im Nonprofit- oder im öffentlichen Sektor beschäftigt.
Drei wichtige Elemente einer Karrierestrategie, die ich hier genauer erläutern möchte, sind: Transferable Skills, Sichtbarkeit und Netzwerken. Die Tipps sind übrigens sowohl für eine akademische als auch eine außerakademische Karriere nützlich.
Über Dr. Anne Schreiter
Dr. Anne Schreiter ist Geschäftsführerin der German Scholars Organization in Berlin. Der Verein unterstützt Wissenschaftler:innen, die eine Karriere in Deutschland verfolgen – in der Wissenschaft und in anderen Sektoren. Dazu berät der Verein zu Karrierefragen, vernetzt Forschende und führt mit Stiftungen Förderprogramme durch. Anne Schreiter hat in Berlin und Nanjing Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation sowie chinesische Sprache und Kultur studiert. Nach ihrer Promotion an der Universität St. Gallen hat sie ein Jahr an der University of California, Berkeley, geforscht. Sie engagiert sich unter anderem in Advisory Boards für die Planck Academy der Max-Planck-Gesellschaft, dem Science Blog "Elephant in the Lab" und dem Netzwerk Wissenschaftsmanagement.
Was kann ich? Transferable Skills
Die eigenen Fähigkeiten zu kennen und kommunizieren zu können, ist die Grundlage dafür, den richtigen Job-Fit zu finden.
Fähigkeiten, die Sie allgemein bei Ihren aktuellen Tätigkeiten benötigen, sind sicherlich schnell benannt: Bestimmte Methoden anwenden, Paper schreiben, auf Konferenzen präsentieren. Vielleicht auch Projekte managen und kommunizieren. Hier kommen wir der Sache mit den übertragbaren Fähigkeiten, den Transferable Skills, schon näher. Die gute Nachricht ist: Alles, was Sie heute bereits tun und können, kann auch in vielen anderen Bereichen Anwendung finden. Manche Kompetenzen erscheinen Ihnen vielleicht banal oder selbstverständlich, sodass Sie Ihnen gar nicht in den Sinn kommen, z.B.:
- Routiniert komplexe Probleme analysieren und lösen,
- Daten und ihre Quellen bewerten, verstehen und aufbereiten,
- kontinuierliche Lernbereitschaft,
- Durchhaltevermögen und der Umgang mit Rückschlägen,
- die Fähigkeit selbstständig zu arbeiten,
- laterale Führung und Führung nach oben.
Aber gerade diese Skills führen die Liste der „Future Skills“ des World Economic Forum an!
Mit diesen Fragen kommen Sie Ihren Skills auf die Spur:
- Was konkret mache ich tagtäglich in meinem Job, aber auch darüber hinaus?
- Wofür werde ich häufig um Rat gefragt?
- Welche Problemsituationen habe ich gemeistert? Was habe ich konkret getan und was kam dabei heraus?
Zum Weiterlesen
PAR (Problem-Action-Result)-Methode
Mit dieser einfachen Methode können Sie Fähigkeiten noch tiefergehender erkennen und beschreiben. Dabei geht es darum, sich die eigenen Fähigkeiten nicht nur bewusst zu machen, sondern auch mit Substanz zu versehen, indem Sie sie kontextualisieren, quantifizieren und mit Ergebnissen ergänzen.
What Color is your Parachute?
In dem Buch von Richard Bolles finden Sie neben vielen anderen hilfreichen Anregungen zu Ihrer Karrierestrategie auch eine Übung, bei der Sie sich selbst nicht nur als Person, die bestimmte Fähigkeiten hat, beschreiben, sondern Sie beziehen auch mit ein, welche Arbeitsumgebung und finanzielle Kompensation Sie sich wünschen. Außerdem reflektieren Sie über Ihre Werte und Motivationen. Dadurch erhalten Sie ein umfassenderes Bild eines möglichen Berufsziels.
So hilft ChatGPT
Der Chatbot ChatGPT ermöglicht es, in Sekundenschnelle erste Ideen für Ihre Jobsuche zu erhalten. Hilfreiche Prompts, um z.B. Formulierungen für Transferable Skills in Ihrem Bereich herauszufinden, können sein:
- Versetzen Sie sich in die Rolle eines Recruiters. Welche Rollen / Jobtitel schlagen Sie einem PhD in Biologie vor?
- Welche Transferable Skills von „Ihrem“ PhD in Biologie sind wichtig für einen Job im Produktmanagement?
Mariya Topchy gibt auf LinkedIn weitere Tipps, wie Wissenschaftler:innen ChatGPT für die Jobsuche nutzen können.
Idealerweise haben Sie nun eine Liste an Fähigkeiten, die Sie in der Wissenschaft, aber auch in anderen Bereichen nutzen können. Aber welche dieser Fähigkeiten wollen Sie überhaupt nutzen? Vielleicht können Sie gut Texte editieren oder HTML programmieren, aber eigentlich möchten Sie den Tag lieber mit anderen Tätigkeiten verbringen? Genau diese anderen Tätigkeiten sind Ihre Stärken, also Kompetenzen, die Sie gerne nutzen. Stärken können auch Tätigkeiten sein, die Sie noch nicht gut beherrschen, die Ihnen aber Spaß machen und wo Sie motiviert sind, dazu zu lernen.
Sichtbarkeit
Um Netzwerke aufzubauen, Jobangebote zu bekommen und als Experte oder Bewerberin wahrgenommen und vielleicht angefragt zu werden, müssen Sie sichtbar sein. Es geht dabei nicht um eine lautstarke Selbstvermarktung, sondern die sachliche Information darüber, wer Sie sind und was Sie zu bieten haben (auch Personal Brand genannt).
Keine Sorge: Sie müssen nicht auf allen Kanälen ständig präsent sein. Überlegen Sie sich, wen Sie mit welchem Thema hauptsächlich erreichen möchten und wählen Sie danach die nächsten Schritte aus.
Geben Sie zunächst Ihren Namen, ggf. in Kombination mit weiteren Stichwörtern, bei einer Suchmaschine ein – was finden Sie? Vermitteln Sie die Informationen, für die Sie auch gefunden werden möchten?
Beeinflussen können Sie die Suchergebnisse zu Ihner Person besonders gut durch eine eigene Website und/oder ein Profil bei LinkedIn.
LinkedIn ist ein Muss, wenn Sie an einer außerakademischen Karriere interessiert sind. Inzwischen sind auch immer mehr Forschende und Forschungseinrichtungen mit ihren Profilen dort präsent. Die Plattform ermöglicht eine suchmaschinenoptimierte Mini-Website, auf der Sie Ihre Skills präsentieren können und damit auch gut im Netz auffindbar sind. Außerdem bietet LinkedIn eine riesige Kontakt-Datenbank.
Do's für Ihr LinkedIn-Profil
- Professionelles Foto und Hintergrundbild
- Headline: Geben Sie hier durch Keywords etwas mehr Kontext. Schreiben Sie “PhD researcher” oder “scientist” (Bsp: Cancer Stem Cell Scientist | CRISPR Screening, Target Identification and Validation | Drug Discovery | Project Leader I Scicom Enthusiast)
- Nutzen Sie das Feld “Summary” für einen kurzen Pitch und formulieren Sie auch, wo Sie sich zukünftig sehen (z.B.: “Interested in applying my research in... to...”)
- Illustrieren Sie in Bulletpoints unter “Experience”, die Tätigkeiten zu Ihren einzelnen Stationen (besonders die Transferable Skills!). Ergänzen Sie mit Links.
- Sie können optional relevante Publikationen, Skills sowie Zertifikate hinzufügen.
- Fügen Sie dann nach und nach Kontakte hinzu (Bekannte, Alumni, und schließlich neue Kontakte in relevanten Bereichen).
Dont's für Ihr LinkedIn-Profil
- Lassen Sie nicht zu viele Leerstellen in Ihrem Profil: Ein unvollständiges Profil macht bei Anfragen einen weniger guten Eindruck.
- Headline: Vermeiden Sie den Begriff PhD “student”.
Sie können Ihr Profil jederzeit anpassen – Netzwerken ist ein iterativer Prozess, bei dem Sie stets etwas Neues hinzulernen und Ihre Kommunikation darauf aufbauend schärfen können.
Website
Noch individueller kommunizieren können Sie über eine eigene Website — wie ein LinkedIn-Profil gibt sie Externen einen Eindruck von Ihnen. Die Suche nach neuen Kontakten oder Bewerber:innen über eine Suchmaschine kennen Sie sicher.
X (ehemals Twitter)
Beispiele für tolle Websites von Forschenden: (Stand Sep. 2023)
Besonders für Forschende ist die Plattform nach wie vor interessant. Sie ermöglicht sehr niedrigschwelligen Kontakt mit Labs oder Forschenden und informiert zu neuen Papern oder Jobs. Die Attraktivität der Plattform nimmt aber seit der Übernahme durch Elon Musk stetig ab. Die Entwicklung müssen Sie beobachten.
ResearchGate
ResearchGate verhält sich eher wie ein Dokumentationstool für Publikationen und stellt eine gute Ergänzung zu einer Website dar. Wenn es die einzige Plattform ist, die Sie für Ihre eigene Sichtbarkeit und Auffindbarkeit im Netz nutzen, ist die Aussagekraft eher gering.
Weitere Tipps für mehr Sichtbarkeit
- auf Konferenzen im Plenum Fragen stellen
- sich selbst zu Talks einladen
- eigene Workshops organisieren
- Kollaborationen initiieren
Netzwerken
Netzwerken erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen glücklichen Zufall – das kann auch oft Jahre nach der Vernetzung passieren oder durch ganz ungewöhnliche Kontakte.
Aktivieren Sie Ihr bestehendes Netzwerk – dabei hilft eine Netzwerkkarte, auf der Sie die Kontakte zusammentragen, die zunächst für Ihr Ziel hilfreich sein könnten. (Wer arbeitet bereits in einem Unternehmen meiner Zielbranche oder könnte jemanden dort kennen? Wer ist gerade Gruppenleiterin an meinem Institut geworden?).
Durch diese Visualisierung strukturieren Sie Ihre Kontakte und machen blinde Flecken sichtbar – an welchen Stellen müssen Sie Ihr Netzwerk ausbauen? Beginnen Sie bei den existierenden Kontakten und sprechen Sie über Ihr Anliegen ("Kennst du jemanden, der in meiner Zielbranche tätig ist?"). Recherchieren Sie zusätzlich Personen, die die blinden Flecken füllen könnten und gehen Sie gezielt auf diese zu. Das ist nichts Ungewöhnliches und es gibt dafür sogar ein nützliches Tool: Informational Interviews.
Informational Interviews
Das Prinzip ist einfach: Sie sprechen mit Menschen, die in für Sie interessanten Berufsfeldern arbeiten. Es ist kein Vorstellungsgespräch und dient nicht dazu, eine offene Stelle zu finden. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, Einblicke in Organisationen zu bekommen, in denen Sie vielleicht in Zukunft arbeiten möchten — ob in der Wissenschaft oder in anderen Sektoren.
Hier finden Sie z. B. Gesprächspartner:
- LinkedIn: Seite der Alma Mater (Alumni), “Personen” bei Unternehmensseiten
- weitere Alumni-Netzwerke (z. B. der Joachim Herz Stiftung)
- Gruppenleitungen an Ihrem Institut oder erfolgreiche Fördernehmer:innen des ERC/Emmy-Noether-Funds auf den Webseiten der Förderer (für Karrieretipps in der Wissenschaft)
Netiquette bei Informational Interviews:
- Senden Sie individualisierte Kontaktanfragen: Warum möchten Sie genau mit dieser Person sprechen?
- Was ist Ihr Anliegen und wie viel Zeit (beginnt mit 15min) soll die Person investieren? Ein Tool wie Calendly vereinfacht die Terminvereinbarung.
- Senden Sie unbedingt ein Dankesschreiben im Anschluss!
Mögliche Fragen bei Informational Interviews:
- Wie kommen die meisten Menschen in diesen Bereich? Welche Schritte würden Sie jemandem empfehlen, der sich auf den Einstieg vorbereitet? Welche Fähigkeiten, Talente und Persönlichkeiten sind erforderlich?
- Wie sehen Sie die Zukunft in diesem Bereich? Was sind aktuelle Trends?
- Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der sich für eine Tätigkeit in Ihrem Bereich interessiert? Wo informieren Sie sich?
- Was wäre in Ihrer Organisation ein schlechter/guter Fit?
- Mit wem sollte ich noch sprechen?
Weitere Tipps fürs Netzwerken
- Bereiten Sie kleine Pitches vor, um schnell zum Punkt zu kommen. Sie können sich grob an dieser Struktur orientieren: Wer sind Sie, was ist Ihr Thema, was suchen/wollen Sie und was soll Ihr Gegenüber tun? Passen Sie diese dann an die Zielgruppe (Professor:in, HR-Person, Peer?) an und verkaufen Sie sich dabei nicht unter Wert.
- Mit der Nachrichten-Funktion von X (ehemals Twitter) bzw. dem Textfeld bei LinkedIn-Kontaktanfragen können Sie vor oder nach einer Konferenz Termine vereinbaren, wenn Sie lieber einzeln mit Personen sprechen.
- Nutzen Sie die Zeit während einiger Vorträge an der Kaffeemaschine – oft erwischt man dann Gesprächspartner:innen ohne zu viel „Konkurrenz”.
- Vernetzen Sie andere miteinander – das bleibt in Erinnerung.
Der letzte und wichtigste Tipp
Der wichtigste Tipp kommt am Ende: Fangen Sie einfach an und probieren Sie sich aus. Die einzelnen Schritte müssen nicht perfekt vorbereitet und ausgeführt werden. Vielmehr gilt: „Trust the process“ – es ist erstaunlich, welche Wege erkennbar werden, sobald man mit offenen Augen losläuft.