Hamburger Preis für Theoretische Physik
Informationen rund um die Preisträger:innen und das jeweilige Forschungsgebiet.
Preisträger:innen 2014 - 2023
Edward Witten (2023)
Edward Witten zählt zu den renommiertesten und am häufigsten zitierten Theoretischen Physiker:innen unserer Zeit. Seit Jahrzehnten gibt er wichtige Impulse für die Entwicklung einer großen vereinheitlichten Theorie der Physik, die alle Kräfte und Bausteine des Universums beschreibt. Als aussichtsreicher Kandidat dafür gilt die Stringtheorie, weil sie eine Brücke zwischen der Quantentheorie und Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie schlägt. Laut Stringtheorie sind Elementarteilchen wie Quarks und Elektronen unterschiedliche Schwingungsformen desselben winzigen fadenförmigen Objekts. Aufgrund dieses Paradigmenwechsels, auf den der emeritierte Professor am Institute for Advanced Study in Princeton maßgeblichen Einfluss hatte, lassen sich alle vier fundamentalen Naturkräfte durch eine vereinheitlichte Quantentheorie von Strings beschreiben. Ausgehend von den Arbeiten zahlreicher Kolleg:innen präsentierte Witten 1995 einen Vorschlag, wie man die fünf damals bekannten alternativen Versionen der Stringtheorie als verschiedene Grenzfälle einer umfassenden Theorie, der sogenannten M-Theorie, zusammenführen könnte.
Auch in anderen Bereichen der mathematischen Physik gab Edward Witten wichtige Impulse, von der Quantentheorie bis zur Physik der kondensierten Materie, teilweise mit Anwendungen in der Gravitationstheorie und Astronomie. Seine Arbeiten zur topologischen Quantenfeldtheorie beispielsweise eröffneten Mathematiker:innen Ende der 1980er Jahre neue Horizonte beim Verständnis der geometrischen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten von Knoten. Edward Witten wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. erhielt er 1990 als erster Physiker überhaupt die Fields-Medaille.
Nicola Spaldin (2022)
Nicola Spaldin wurde für ihre wegweisende Forschung an Multiferroika mit dem Hamburger Preis für Theoretische Physik 2022 ausgezeichnet.
1997 machte ein Kollege an der Yale University während einer Kaffeepause einen beiläufigen Kommentar zu Nicola Spaldin, der ihr keine Ruhe mehr lassen sollte: Es sei schade, dass es keine ferroelektrischen Materialien gebe, die auch ferromagnetische Eigenschaften zeigen, also magnetisierbar sind. Mit Hilfe von Quantentheorie und Computermodellen untersuchte sie in den folgenden Jahren, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit kristalline chemische Verbindungen sowohl elektrisch polarisierbar als auch magnetisierbar sind. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie einen wegweisenden Artikel mit dem Titel „Why are there so few magnetic ferroelectrics?“ Die wichtigste Erkenntnis: Ferromagnetismus und Ferroelektrizität sind nicht grundsätzlich unvereinbar. Man müsste nur die richtigen Atome in einer passenden Kristallstruktur anordnen, um solche multiferroischen Materialien zu erhalten.
Der Durchbruch gelang 2003 in Kooperation mit der Forschergruppe um den Physiker Ramamoorthy Ramesh von der University of California/Berkeley: Dünne, im Labor hergestellte Materialfilme aus Bismutferrit zeigten multiferroische Eigenschaften. Nach der Publikation im Fachmagazin „Science“ stieg die Zahl der Publikationen zu diesem Thema sprunghaft an. Das Material zählt heute zu den am intensivsten erforschten Multiferroika.
Seit 2010 treibt Nicola Spaldin die Entwicklung der neuen Materialklasse mit ihrer Forschungsgruppe an der ETH Zürich voran. Da das Zusammenspiel von Theorie und Experiment dabei eine wichtige Rolle spielt, betreibt sie ein eigenes Labor zur Synthese von Multiferroika und profitiert vom Zugang zu Superrechnern und physikalischen Messinstrumenten zur Materialcharakterisierung an Schweizer Großforschungszentren wie dem Paul Scherrer Institut.
Nicola Spaldin studierte Chemie und Geologie an der University of Cambridge und interessierte sich schon früh für die Schnittstelle zwischen theoretischer Physik, Chemie und Materialforschung. 1996 wurde sie an der University of California/Berkeley promoviert. Sie war Postdoc an der Yale University/New Haven, bevor sie an der University of California/Santa Barbara eine Assistenzprofessur und eine außerordentliche Professur übernahm. 2006 wurde sie an derselben Universität zur ordentlichen Professorin berufen. Seit 2011 ist sie Professorin für theoretische Werkstoffkunde am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich.
Eugene Demler (2021)
Der russisch-amerikanische Forscher Eugene Demler erhielt den Hamburger Preis für Theoretische Physik 2021. Demler, der seit 2001 Professor für Physik an der Harvard-Universität in den USA und im Herbst 2021 an die ETH Zürich gewechselt ist, arbeitet an einem besseren Verständnis stark korrelierter Quantensysteme, von Elektronen in Festkörpern bis hin zu verdünnten atomaren Gasen und Photonen. Seine Forschung hat tiefgreifende Auswirkungen auf Bereiche wie Magnetismus und Supraleitung, Vielteilchenphysik mit ultrakalten Atomen in optischen Gittern, nichtlineare Quantenoptik sowie Pump-Probe-Experimente in Festkörpern.
Eugene Demler ist ein weltweit renommierter Experte in der theoretischen Quantenphysik. Sie beschreibt, wie sich Elektronen, Atome und andere winzige Objekte verhalten. Demlers Arbeit war unter anderem maßgeblich für die Entwicklung von Quantensimulatoren auf der Grundlage ultrakalter Atome. Um komplexe Materialien zu verstehen, nutzen Theoretikerinnen und Theoretiker oft vereinfachte mathematische Modelle, analysieren diese und vergleichen die Resultate mit den experimentell gemessenen Materialeigenschaften. Das Problem dabei: Selbst einfache mathematische Modelle zur Beschreibung korrelierter Quantensysteme lassen sich nicht präzise berechnen, wenn starke Wechselwirkungen zwischen Teilchen eine Rolle spielen.
Quantensimulatoren lösen dieses Problem mit experimentellen Systemen, die fundamentale Modelle der Physik kondensierten Materie nachbilden. Zum Beispiel indem ultrakalte Atome mit Hilfe von Laserstrahlen zu periodischen Strukturen angeordnet werden, die künstliche Kristalle bilden. Experimente mit solch künstlichen Kristallen erlauben es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Eigenschaften grundlegender theoretischer Modelle im Detail zu untersuchen und herauszufinden, was noch fehlt, um Systeme kondensierter Materie präzise zu beschreiben.
Valery Rubakov (2020)
Forschungsteams auf der ganzen Welt konnten in den vergangenen Jahren wichtige Erkenntnisse über die Entstehung des Universums gewinnen. Sie stützten sich dabei auch auf die Arbeiten von Valery Rubakov. Für seine Forschung erhielt der russische Physiker im Jahr 2020 den Hamburger Preis für Theoretische Physik. Der unerwartet im Oktober 2022 verstorbene Rubakov war leitender Wissenschaftler am Institut für Kernforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau und Professor an der Staatlichen Lomonossov-Universität Moskau.
Die Frage, aus was wir und die Welt um uns herum bestehen, beschäftigt die Menschen von jeher. Unsere Materie ist aus Atomen aufgebaut, die wiederum aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht. Im klassischen Standardmodell der Elementarteilchenphysik, das alle bekannten Elementarteilchen und deren Grundkräfte mit starker und schwacher Wechselwirkung und Elektromagnetismus beschreibt, wird das Proton als stabil angesehen. Rubakov stellte diese Annahme in Frage und entwickelte die Theorie zur Katalyse des Protonenzerfalls durch magnetische Monopole, den so genannten Callan-Rubakov-Effekt. Dieser Effekt besagt, dass ein magnetisches Monopol den Zerfall von Protonen, also den Grundbausteinen unserer Materie, erzeugen und einen beobachtbaren Fußabdruck in Form von Neutrinos hinterlassen würde. Magnetische Monopole müssten kurz nach dem Urknall des Universums entstanden sein und theoretisch auch heute noch vereinzelt auftreten.
Matthias Troyer (2019)
Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wurde im Jahr 2019 an den österreichischen Wissenschaftler Matthias Troyer verliehen. Troyer war Professor an der ETH Zürich und ist nun in der Quanten-Forschung des Softwareherstellers Microsoft tätig. Den Preis erhielt er für seine Beiträge zur Entwicklung der sogenannten Quanten-Monte-Carlo-Algorithmen.
Mit ihnen lässt sich auf Grundlage von Zufallszahlen vorhersagen, wie sich kleinste Teilchen in quantenmechanischen Vielteilchensystemen wie Atomen oder Molekülen gegenseitig beeinflussen. Troyer leistet damit wesentliche Beiträge in der Grundlagenforschung und zur Weiterentwicklung von Quantencomputern oder auch supraleitenden Materialien. Er ist einer der wenigen international führenden Spitzenforscher auf diesem Gebiet. Die Joachim Herz Stiftung verlieh den Preis gemeinsam mit dem Wolfgang Pauli Centre (WPC) sowie dem Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg.
Hirosi Ooguri (2018)
Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wurde im Jahr 2018 an den japanischen Forscher Hirosi Ooguri verliehen. Ooguri, der am California Institute of Technology (Caltech) und an der Universität Tokio arbeitet, erhielt den Preis für seine Arbeiten zur Stringtheorie – ein wichtiger Schritt zur Grundlage für eine allumfassende Theorie der Physik. Die Forschungsarbeit von Ooguri beschäftigt sich mit der mathematischen Stringtheorie, die helfen könnte, die letzten offenen Fragen über die Entstehung des Universums zu klären. Sie gilt als der vielversprechendste Ansatz, um die Elementarteilchenphysik mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu verbinden, die unter anderem die Schwerkraft erklärt. Ooguri ist es gelungen, viele physikalische Phänomene mithilfe der Stringtheorie berechenbar zu machen. Mit seiner Forschung über die Quantenmechanik von Schwarzen Löchern knüpft er darüber hinaus an die Forschung des Physikers Stephen Hawking an.
Hirosi Ooguri kam im Jahr 2000 als Professor für Theoretische Physik an das Caltech. Dort ist er Fred-Kavli-Professor und Direktor des Walter-Burke-Institutes für Theoretische Physik. Zugleich ist er Präsident des Aspen Center for Physics und seit 2018 Direktor des Kavli-Instituts für Physik und Mathematik des Universums an der Universität Tokio. Ooguri erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Unter anderem ist er Fellow der American Academy of Arts and Sciences und er erhielt den Leonard-Eisenbud-Preis für Mathematik und Physik.
Andrew Millis (2017)
Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wurde im Jahr 2017 an Andrew Millis, Professor an der Columbia Universität in New York und stellvertretender Direktor für Physik der Simons Foundation, verliehen. Millis erhält den Preis für seine herausragenden Beiträge zur Erforschung der Physik kondensierter Materie, die sich mit den atomaren und molekularen Wechselwirkungen in festen und flüssigen Stoffen befasst. Seine Arbeiten ermöglichen Berechnungen, mit denen beispielsweise die elektrische Leitfähigkeit eines Materials sehr genau vorhergesagt werden kann. Damit liefert er einen wichtigen Meilenstein bei der Suche nach Materialien, in denen die Supraleitung, die verlustfreie Leitung von Elektrizität, auch bei Raumtemperatur möglich ist.
Andrew Millis studierte Physik an der Harvard Universität und promovierte 1986 am Massachusetts Institute of Technology. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Bell Laboratories in New Jersey. 1996 wurde Millis Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore und wechselte drei Jahre später nach New Jersey an die Rutgers Universität. Im Jahr 2001 wechselte Millis an die Columbia Universität, an der er von 2006 bis 2009 als Leiter des Lehrstuhls arbeitete. Seit 2002 ist er Professor für Physik an der Columbia Universität. Zudem arbeitet er seit 2011 als stellvertretender Direktor für physikalische Wissenschaften an der Simons Foundation, einer der großen wissenschaftsfördernden Stiftungen der USA. Zum 1. September 2017 nahm er außerdem die Funktion des Co-Direktors vom Center for Computational Quantum Physics am Flatiron Institute der Simons Foundation auf.
Mikhail Katsnelson (2016)
Mikhail Katsnelson beschäftigt sich mit quantenmechanischer Vielteilchentheorie, stark korrelierten Systemen und der Quantentheorie des Magnetismus sowie Graphen. Vor allem seine theoretischen Arbeiten zu Graphen gelten als wegweisend. Er gilt als Forscher mit einem außergewöhnlich breiten Interessensgebiet. Seine vielseitige Expertise und Methodenvielfalt kamen ihm bei den Arbeiten zu Graphen zugute. Das Material hat viele bemerkenswerte Eigenschaften und kann in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden.
Mikhail Katsnelson, der bereits mit 17 Jahren erste wissenschaftliche Aufsätze veröffentlichte, begann seine akademische Laufbahn in der ehemaligen Sowjetunion. Nach Abschluss seines Masters in Theoretischer Physik an der Ural State Universität in Sverdlovsk, erhielt er im Jahr 1980 seinen Doktor in der Festkörperphysik am Institut für Metallphysik und erreichte anschließend 1985 seine Habilitation. Sieben Jahre später wurde er als Professor für Festkörperphysik und mathematische Physik an die Ural State Universität berufen. Nach einer kurzen Station in Schweden an der Uppsala Universität, lehrt und forscht er seit 2004 als Professor an der Radboud Universität im niederländischen Nijmegen. Hier ist er Leiter der Arbeitsgruppe „Theory of Condensed Matter“.
Ignacio Cirac (2015)
Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wurde im Jahr 2015 an Ignacio Cirac, Direktor der Abteilung Theorie am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, verliehen. Cirac erhielt den Preis für seine herausragende Forschungsarbeit in gleich drei hochaktuellen Forschungsthemen: der Quanteninformationstheorie, der Quantenoptik und der Physik von Vielteilchensystemen.
Ignacio Cirac studierte theoretische Physik an der Universität Complutense de Madrid, an der er 1991 promovierte. Seine Karriere begann Cirac anschließend als außerordentlicher Professor an der Universität von Castilla-La Mancha. 1996 folgte er dem Ruf als Professor für Theoretische Physik an die Leopold-Franzens- Universität in Innsbruck. Seit 2001 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und leitet die Abteilung Theorie. Cirac entwickelt Methoden, um nach den Gesetzen der Quantenmechanik die Welt der Atome, Moleküle und Photonen zu beschreiben und zu kontrollieren.
Einige seiner international wegweisenden Arbeiten zeigen auf, wie sich quantenmechanische Eigenschaften für die Übertragung und Abspeicherung von Information sicher und effizient nutzen lassen, was insbesondere für die Entwicklung von Quantencomputern eine große Rolle spielt. Ciracs Methoden bringen jedoch nicht nur das Gebiet der Quantencomputer voran, sondern sind auch in vielen anderen Gebieten der Physik wichtig, wie der Festkörperphysik, der Supraleitung und sogar zur Simulation von Modellen der Teilchenphysik.
Antoine Georges (2014)
Im Jahr 2014 wurde der Hamburger Preis für Theoretische Physik an Antoine Georges, Professor am Collège de France und an der École Polytechnique in Paris sowie der Universität Genf, verliehen. Den Preis erhält Georges für seine bahnbrechenden Beiträge zur Physik der kondensierten Materie, insbesondere für seine neuartigen Methoden zur Beschreibung stark korrelierter Systeme.
Antoine Georges promovierte 1988 am École Normale Supérieure. Von 1989 bis 1991 folgte Georges einem Angebot in den USA als Postdoc zu arbeiten. Anschließend vertiefte er 1991 mit der Wiederkehr nach Frankreich seine Forschung bezüglich der Physik kondensierter Materie und leitete ab 2003 eine Forschungsgruppe am École Polytechnique. Seit 2009 ist er Professor der Physik der kondensierten Materie am Collège de France und arbeitet zusätzlich als Professor an der Universität Genf. Zudem ist er Direktor des im Jahr 2017 gegründeten Center for Computational Quantum Physics am Flatiron Institute in New York.
Der Fokus seiner Arbeit liegt auf der Physik von Materialien mit starken Wechselbeziehungen der Elektronen untereinander. Diese Materialien besitzen bemerkenswerte elektrische Eigenschaften. Georges Forschung auf diesem Gebiet hat das Verständnis dieser Materialien stark vorangebracht und hilft, die physikalischen Eigenschaften dieser zu erklären, zu berechnen und sogar vorherzusagen. Seine Forschung liefert somit wichtige Beiträge an der Schnittstelle von theoretischer Festkörperphysik und den Materialwissenschaften.